Warum nur hat man das Gemälde einer Schleuse bei Optevoz Ende des 19. Jahrhunderts mit Courbet signiert? Von wem stammt es wirklich? Detektivisch ging das Team des Doerner Instituts und der Neuen Pinakothek, München, bei der Rekonstruktion der Story und Restaurierung des Bildes vor, das Hugo von Tschudi 1909 in gutem Glauben, dass es ein Courbet sei, für die Münchner Sammlung akquiriert wurde. In einer konzentrierten Ausstellung ist es nun mit Varianten aus Karlsruhe, Paris und Rouen sowie weiteren Arbeiten zu sehen. Doch ein Courbet ist es wohl nicht, wie die Forschungen ergeben haben. Macht auch nichts, denn wenn das Gemälde ein Werk von Charles Daubigny sein sollte, wie das Museum proklamiert, erhellt es den Kontext um das Schaffen dieses Künstlers, der vor allem Landschaften malte.
Eine unscheinbare Schleuse. Die Funktion des Bauwerks erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Dennoch ist es eins der berühmtesten Wehre der Kunstgeschichte. Außerdem ist es Gegenstand eines spannenden Kunstkrimis, der sich in der Neuen Pinakothek abspielt. Nein, das muss in die Vergangenheit gesetzt werden, denn letztlich steht das Ergebnis fest: «So bleiben am Ende offene Fragen, und die Münchner Fassung der Schleuse im Tal von Optevoz gibt die Lösung ihres Rätsels noch nicht vollständig preis», schreibt Herbert W. Rott, Referent für Malerei und Plastik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Hausreferent für die Sammlung Schack im Katalog zur Ausstellung Courbet > Daubigny. Das Rätsel der «Schleuse im Tal von Optevoz» (S. 33), die als meisterliches Stück kuratorischer Virtuosität dem Betrachter Respekt abnötigt und Freude darüber verbreitet, wie die Mühen der Münchner selbst im kleinen Rahmen von großen Museen wie dem Louvre durch Leihgaben mitgetragen werden.
Das Rätsel bezieht sich nicht auf das im Bild Dargestellte. Heute weiß man ziemlich genau, wo sich das ursprüngliche Setting befindet. Optevoz ist ein Kaff keine 50 Kilometer östlich von Lyon. Zur Zeit der Schule von Barbizon entdeckten Maler dieses Fleckchen Erde, das in seinem Abwechslungsreichtum so ganz nach dem Geschmack der französischen Künstler gewesen sein musste. Das Gelände ist hügelig. Ein Flüsschen, die Amby, fließt durch diese arkadische, mit Felsen durchbrochene, wellige und leicht bewaldete Landschaft. Und hier spielt auch die Szene aus dem besagten Gemälde. Die Leinwand, wahrscheinlich um 1855 gemalt, ist 63,5 x 84,5 cm groß und kam auf Vermittlung von Hugo von Tschudi nach München. Der bedeutende Kunsthistoriker dirigierte von 1909 an die Geschicke der großen Münchner Sammlungen. Er kam aus Berlin, wo er von 1896 bis 1909 maßgeblich die Ankäufe der Nationalgalerie bestimmte und verantwortete. Bestens vernetzt war er, würde man heute wohl sagen. Er kannte den Kunstkritker und Impressionismus-Apologeten Théodore Duret, der das Bild – allerdings unter falscher Flagge – in seiner Privatsammlung verwahrte und es im hohen Alter nicht in eine Auktion, sondern an ein öffentliches Museum geben wollte.
Tschudi erwarb das Gemälde als ein Werk von Gustave Courbet (1819-1877). Doch die Münchner analysierten es eingehend, unterzogen es einer Restaurierung und schrieben es nun Charles Daubigny (1817-1878) zu. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es das einzige Gemälde dieses argen Kommunarden von diesem idyllischen Platz wäre. So manche Deutung schoss um das Bild ins Kraut. Da hieß es, es sei eine Co-Produktion zwischen den Malern gewesen, wobei nicht einmal belegt ist, ob Courbet seinen Fuß in diese Gegend gesetzt hat.
In der Ausstellung, die aus zwei Räumen besteht, spielt das Münchner Haus im Kleinen groß auf. Blockbuster sind das eine, aber hier geht es nicht symphonisch zu, sondern kammermusikalisch, und das inmitten der Sammlung, was Querverbindungen etwa zu den Courbets des Hauses im Nachbarkabinett erlaubt. Fantastisch konzentriert betrachtet man allein vier Schleusen-Bilder. Neben der Münchner Fassung, die nun ihres ehemals trüben Firnis‘ und der homogenisierenden Verflachung des Himmels beraubt, wieder frisch und farbig daher kommt. Dann aus der Nachbarschaft Karlsruhe die eher skizzenhafte Version sowie das größte Werk, die Leinwand aus Rouen, und eine weitere, komplett veränderte Auffassung aus dem Louvre. Hinzu treten zwei Darstellungen des Tals (Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Fondation Corboud; Paris, Musée d’Orsay). In einem zweiten Raum zeigt das Team um Herbert W. Rott archaische-exotische Fotografien, Salzpapierabzüge von Papiernegativen, des Künstlers François-Auguste Ravier, die um 1850 entstanden sind, sowie Grafiken von Daubigny und Ravier aus der Region um Optevoz.
Mit dieser Ausstellung reichert sich das Wissen über der Malerei im 19. Jahrhundert ein weiteres Mal an. Die Schau erlaubt am Rande den Blick auf Gewohnheiten im Atelier. Der überaus lesenswerte Katalog erhellt detailliert die Maltechnik bis in die verwendeten Pinsel und Farbpigmente. Im halbdunklen Grafikraum kann der Besucher über diese ganz besonderen, enorm empfindlichen Fotografien aus der Pariser Nationalbibliothek staunen. Diese Kalotypien, wie sie der Erfinder William Henry Fox Talbot nannte, sind aufwändig produzierte Abzüge. Das Papiernegativ wurde in heißem Wachs getränkt. Dadurch wurde es transparent, und es konnten per Kontaktabzug auf fotochemisch aktivem Papier beliebig viele Kopien hergestellt werden.
Das Format dieser Ausstellung beglückt. Es ist ja nicht so, dass man enttäuscht mit dem Kopf schüttelt und sich über die wenigen gezeigten Werke wundert. Vielmehr bekommt man hier die Gelegenheit, sich intensiv mit den feinen Nuancen und den Unterschieden der ausgestellten Werke auseinander zu setzen. Hinzu tritt die Transparenz, mit der in Form von einfachen Grafiken die seltsame Geschichte des Bildes nachvollziehbar gestaltet wurde. Das renommierte Münchner Doerner Institut, die naturwissenschaftliche Abteilung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, hat mit großer Überzeugungskraft die Rekonstruktion und Restaurierung des Gemäldes vorgenommen. In einem akribischen Bericht legt Eva Ortner, Leiterin der Restaurierungsabteilung, im Katalog dar, wie das Bild zunächst gemalt, dann übermalt, beschnitten und signiert wurde – zu einem Zeitpunkt, als Courbet längst gestorben war. Das belegen Bildränder, die mit Zeitungspapier kaschiert wurden. Und dort finden sich Firmen in einer Börsenübersicht, die vor der Mitte der 1890er Jahre noch gar nicht notiert waren bzw. nicht existierten. Dennoch muss man sich fragen, was diese Umarbeitung eigentlich bezwecken sollte. Denn Courbet brachte spätestens seit seiner Beteiligungen am Aufstand der Commune nach 1870 auf dem Markt nicht mehr viel ein. Herbert W. Rott fasst zusammen: «Für einen Händler konnte es in den 1890er Jahren gleichwohl kein Motiv sein, einen Daubigny in einen Courbet umzuwandeln, um damit einen höheren Preis zu erzielen. Eher war das Gegenteil der Fall» (S. 20). Trägt man der These Rechnung, das Bild sei eine Kooperation zwischen beiden bzw. das einzige Bild Courbets aus der Gegend von Optevoz, sieht es natürlich schon anders aus, denn das wäre ein Alleinstellungsmerkmal mit sicherlich merkantilen Folgen. Doch an dieser Stelle betritt man wieder das Reich der Spekulation, so dass man sich trotz der exzellenten Aufarbeitung immer noch nicht sicher ist, was die wahre Geschichte hinter dieser Modifikation ist.
Courbet > Daubigny. Das Rätsel der «Schleuse im Tal von Optevoz», Neue Pinakothek, München, bis 9.3., Katalog 16,60 Euro, tägl. außer Dienstag 10-18 Uhr, Mittwoch 10-20 Uhr