Seit Monaten knirscht Sand im Kulturgetriebe der Stadt Karlsruhe. Man könnte meinen, es sei Jammern auf hohem Niveau, wenn sich der Protest gegen die geplanten, weit gestreuten Kürzungen erhebt, die im November dieses Jahres durch den Gemeinderat gehen. Baden-Württemberg ist ja neben Bayern in keiner Weise so desolat aufgestellt wie etwa Nordrhein-Westfalen, wo die Kommunen sich mit Nothaushalten und regierungspräsidialer Kontrolle herumplagen. Durch meine vielfältigen Beziehungen in die Stadt bin ich natürlich recht neugierig – als ehemaliger Nordrhein-Westfale ganz besonders, weil es mir stets bereichernd erschien, was da alles vonstattengeht. Also habe ich mir im Umfeld zweier Storys für den Informationsdienst KUNST und die KUNSTZEITUNG die Frage gestellt, wo der Puls der Stadt schlägt. Eine meiner ehemaligen Studierenden weiß das ganz genau, daher danke ich ihr hier mal für die wunderbaren Kontakte. Einer von ihnen ist „Die Anstoß“, ein Verein der unkonventionell Räume erschließt, die traditionelle Kunstvereine nicht aufschließen können. Ich sprach mit Lisa Kuon, zusammen mit Norina Quinte Vorsitzende, über Kultur und Kürzungen, die Lebhaftigkeit und den Wert dieser Szene. Selbst wenn es noch keine unmittelbare Bedrohung gibt, ist der Stein ins Rollen gekommen. Schrumpft die Bereitschaft, Kultur als mentales Grundnahrungsmittel zumindest zu akzeptieren, steht zu befürchten, dass eindimensionale Denkweisen die Gesellschaft immer stärker radikalisieren. Die Leistungen vieler junger Menschen für Kunst und Co. ist in Karlsruhe beeindruckend. Wie schätzt daher eine Akteurin vor Ort die Situation ein?
MK: Karlsruhe legt 2015 kulturell ein Wahnsinnsjahr hin, und heuer liest man, dass der Gemeinderat im November Gießkannenkürzungen vorhat. Wie denkt ihr von Die Anstoß e.V. als alternative, freie Kulturanbieter darüber? Was ist mit den kleinen Kulturpflanzen, Off-Spaces etwa?
Lisa Kuon: Die Kürzungen der Kulturetats sehe ich sehr kritisch. Wenn man es so lesen möchte, ist es ein klares Statement der Stadt Karlsruhe, die sich als Technik- und IT-Standort versteht und Kultur jetzt nicht mehr nur stiefmütterlich behandelt, sondern – weil du das Bild der Kulturpflanzen bemühtest – bereit ist, sie eingehen zu lassen. Das ist extrem kurz gedacht; gerade das ZKM ist bis dato ein internationaler Magnet. Ich bin tatsächlich empört von diesem Effizienzdenken, das Dinge für wertlos oder wenig bedeutend erklärt, die nicht direkt in einen ökonomischen Verwertungskreislauf eingespeist werden können. Kunst und Kultur sind für mich und für viele weitere keine lästigen und zu kostspieligen Luxusgüter, sondern schiere Notwendigkeit als Möglichkeiten, die Welt zu greifen und den Komplex „Gesellschaft“ irgendwie zu fassen – sie als Ganzes zu reflektieren und die Stellung des Menschen, gerade auch als homo oeconomicus, ausfindig zu machen.
MK: Was habt ihr denn zu befürchten?
LK: Da wir von „die Anstoß e.V.“ allerdings im Low- oder No-Budget-Bereich angesiedelt sind, sind wir nicht so unmittelbar von den Kürzungen betroffen. Ich vermute, dass sich die Stimmung in kulturellen Sektor ziemlich verändern wird. Wir erfahren eine monatliche Mietunterstützung von der Karlsruher Fächer GmbH, zahlen selbst einen monatlichen Beitrag und versuchen über Spenden, beispielsweise bei Getränkeverkäufen, unsere Ausgaben für Genehmigungen, Lizenzen und anderes zu decken.
MK: Generell: Wie steht es denn um ein Mehr an Förderung? Ist das erwünscht?
LK: Wir würden gerne mehr gefördert werden, denn in diesem freiwilligen ehrenamtlichen Engagement fängt die Wertschätzung ja schon an. Wir zahlen einen Beitrag, auch wenn 15 Euro nicht die Welt sind, dafür, dass wir freiwillig teilweise mehrere Stunden oder Tage in der Woche arbeiten. Wir stellen Veranstaltungen auf die Beine, zu denen wir KünstlerInnen einladen, denen wir in der Regel leider nur eine geringe Aufwandsentschädigung zahlen können. In anderen Bereichen würden sowohl VeranstalterIn als auch eingeladener Gast unter solchen Bedingungen nicht mal aus dem Bett steigen.
MK: Warum tut man sich das denn dann an?
LK: Und doch ist es eine Bereicherung für beide Seiten. Als Vereinsmitglied können wir beispielsweise Erfahrungen in organisatorischer und kuratorischer Tätigkeit sammeln und die überwiegend jungen KünstlerInnen sind sehr dankbar über diese Plattform, die wir ihnen bieten können.
MK: Hat das Folgen? Gibt es einen Resonanzraum für euer Engagement?
LK: Unsere Projekte finden großen Anklang in der Stadt, und uns wird oft gesagt, dass der „ßpace“ – unser Projektraum in der Innenstadt-Ost – eine echte Bereicherung für Karlsruhe ist und sich dadurch für viele nochmal der Blick auf die Karlsruher Kunstszene geändert hat. Das ist wirklich kaum zu glauben und eine schöne Bestätigung für die viele Arbeit.
MK: Was ist denn die Motivation, so zu arbeiten?
LK: Wir sehen ganz deutlich, dass Karlsruhe ein Ort gefehlt hat, der als Plattform für künstlerische und kulturelle Projekte dient, oder auch einfach nur Veranstaltungen an anderen Orten im städtischen Raum stattfinden lässt, bei denen man sich begegnet. Es war kein einfacher Weg bis dahin, und oft wünschen wir uns auch von den EinwohnerInnen, dass sie jungen Projekten mit offeneren Armen begegneten.
MK: Wie schätzt ihr insgesamt die Lage in der Stadt mit Blick auf Aktualität oder Verschlafenheit der Kunstszene ein?
LK: Für die Größe Karlsruhes und gerade auch in Anbetracht dessen, dass das KIT von der Studierendenschaft das Stadtbild dominieren sollte – das sollte man den Zahlen nach zumindest glauben – finde ich, dass Karlsruhe eine relativ starke, junge engagierte Szene hat. Es gibt einige Projekträume, und es findet viel innerhalb der jeweiligen Einrichtungen statt.
MK: Das klingt trotzdem so, als fehle etwas?
LK: Genau das ist ja das Manko, an dem wir ansetzen möchten, indem wir jungen KünstlerInnen und anderen Engagierten – beispielsweise auch im Politischen oder Sozialen – einen Raum geben möchten, der als Schaufenster fungiert, um Projekte auszustellen und diese einem breiteren Publikum zugänglich zu machen – sowohl Jung als auch Alt –, das unter anderen Umständen nicht die Möglichkeit hätte, sich derartige Projekte anzusehen. Aus welchen Gründen auch immer… Sei es, weil es sonst oft Insider-Ausstellungen sind oder weil die meisten Orte weniger zentral sind als beispielsweise unser „Schaufenster“.
MK: Vielleicht noch ein kurzes Fazit?
LK: Um es kurz zu machen: Ja, ich denke dass die junge Kunst in Karlsruhe lebt – allein bei Veranstaltungen unseres Vereins hatten wir viele verschiedene Gäste aus ganz Deutschland (Werders Wohnzimmer, Copy&Paste), Studierende verschiedener Karlsruher Hochschulen (PH, Akademie, HfG, ehemals HfM) und auch aus dem Ausland (Konstrukte). Es gibt sicherlich noch Potenzial, das auszubauen wäre, aber fürs erste steht Karlsruhe in dieser Hinsicht ganz gut da. Natürlich können wir uns nicht vorstellen, auf Dauer und für die kommenden Jahre nach wie vor unentgeltlich zu arbeiten – spätestens dann sind auch wir direkt von den Kürzungen betroffen.