Spielräume – Klangräume

Anmerkungen zum Soundtrack in Computerspielen, Musik und bildender Kunst

Grand Theft und der Sound

«In fact, oftentimes the mark of superior sound design is that you don’t consciously notice it at all.»

Glenn McDonald, gamespot

Blondies Herz aus Glas. Ein Klassiker der 70er Jahre umspült das Ohr des Spielers von «GTA Vice City» irgendwann im Jahr 2003. Das Konsolengame aus dem zweiten Jahrtausend imitiert den Geist der pastelligen Früh-80er, orientiert sich an der Detektivserie Miami Vice, ohne einen Avatar von Don Johnson zum Einsatz zu bringen. Das Spiel ist von Raum bis Sound auf Retro eingestellt: komplett auf diese Optik und den Klang strukturiert und dramatisiert. Schirmwechsel: Mit einem Endlosdudeln taumeln pixelige, kleine, possierliche Nager ins drohende Verderben; ihr Schicksal liegt in der Hand des Spielers. Ob «Lemminge» oder «Weihnachtslemminge» – im Spielehit der 1990er wurden Sound und Musik anders eingesetzt. Möchte man Computerspiele als einen Medienverbund, als dramatis actio begreifen, kommt man nicht umhin, einen Blick auf die akustischen Gehalte zu werfen, mit denen die Spielemacher, zu je verschiedenen Zeiten und bis heute auf unterschiedliche Art und Weise um die Gunst der Kunden wetteifern. Die Games der Frühzeit, die im Kontext von Universitäten entwickelt wurden, waren stumm. Mit den Jahren entwickelte sich das Business parallel zu den anwachsenden Rechenkapazitäten. Denn während mit der gesteigerten Rechenleistung die Sounds immer elaborierter wurden, konnten – thesenhaft formuliert – die früheren Games nur auf die Suggestivität der Monotonie setzen, die höchstens mittels wechselnder Tempi und Modulationen einen Höhepunkt im Spiel zu vermitteln verstanden.

Die folgenden Anmerkungen beziehen sich auf die Relation zwischen computerisiertem Spielen und Musizieren, zwischen Klang und einer virtuellen Räumlichkeit, zwischen der Verfestigung bestimmter Motive zu rhetorischen Figuren, die wiederum in den Arbeiten und Performances zeitgenössischer Musiker auftauchen, welche eher selten im Kontext der E-Musik auftauchen. Und ein wenig reißen sie damit indirekt auch an, welch eine Musik- und Musiker-Kultur sich vor gut zehn Jahren um das Spielen vor dem Rechner ausgebildet hat. Eher metaphorisch denn musikwissenschaftlich soll ein Blick auf die sich mittlerweile mischenden Szenen geworfen werden.

Spiel und Musik sind, so eine schlichte Betrachtung, in der Computerwelt untrennbar vereint und motivieren den Gamer zum Weiterspielen auf unterschiedliche Art und Weise, je nach Genre und Entwicklungsstand. Der zweite Gemeinplatz, dass die Spieleindustrie – schon damals Rekordumsätze in Milliardenhöhe machte und die Filmindustrie übertraf – und die Hardware-Produktion eine kommerzielle Allianz bilden, welche letztendlich eine Endlosschleife von Konsumbegehrlichkeit erzeugt, fand sich ebenfalls in der Soundproduktion für die Entertainment-Software bestätigt. Damit ging ein immer stärkerer Eingriff der Game-Szene in benachbarte Bereiche der Unterhaltungsindustrie einher. Mit «Wipe Out» startete beispielsweise ein Weltraum-Racer in der Mitte der 1990er Jahre, dessen eigens auf CD gepresster Soundtrack zum Insiderhit der Techno-Szene aufstieg. In den ersten Jahren des neuen Millenniums wurde außerdem der umgekehrte Weg immer gangbarer. Mit dem Hype um digital basierte Medienkunst trat das Spiel in den Vordergrund, und Hits wie Doom oder Half Life wurden zum Gegenstand künstlerischer und kunsthistorischer Erforschung. Diese Erscheinungen sind selbstredend nicht ohne historische Entwicklung. Ein Blick auf die Geschichte des Computers in der (bildenden) Kunst zeigt, dass bereits in der Zeit der frühen Verbreitung von Rechenanlagen in kommerziellen und wissenschaftlichen Kontexten die sogenannten Universalmaschinen immer schon Objekt und Werkzeug künstlerischen Schaffens waren. Erinnert sei hier stellvertretend an Kurd Alsleben, Herbert W. Franke, Manfred Mohr oder Frieder Nake, welche sehr früh für eine sogenannte Datenkunst einstehen.

In den meisten Fällen wurde der Rechner als Bildgeber genutzt. Im Verlauf einer Bewegung, die sich aus der Tradition ungegenständlicher, vermeintlich objektiver Kunst kristallisierte, übertrug man die Forderung nach einer, in Form von quasi wissenschaftlichen Experimentreihen nachvollziehbaren Erfahrung von Farbe und Form auch auf ein Prinzip der objektiven Schöpfung. Einer der Stammväter jener künstlerischen Arbeit war Max Bense, der sich für die Stiftung einer «exakten ästhetik» einsetzte. Kurd Alsleben verstand in Erweiterung der so regulierten Bildgeberei den Rechner und seine Rolle in einem metaphorischen Sinne persönlich und akzentuierte dabei eher das Dialogische zwischen Mensch und Maschine. In den konstruktiv motivierten Arbeiten tritt der Künstler zugunsten eines algorithmischen Prinzips in den Hintergrund. Er legt programmierend das Gesetz fest, die Maschine hingegen bringt es auf die Standardausgabe, sprich zur Anschauung. Die Erscheinung wiederum ist dabei mehr oder weniger vom Zufall bestimmt, je nachdem, welche Variablen dem Programm beigegeben wurden. «Interaktivität» wird wenige Jahre später um 1970 in Arbeiten von beispielsweise Myron Krueger thematisiert. Noch regiert die Werk- und Objekt-orientierte Kunst, sprich die Grafik. In der E-Musik wurde ebenfalls schon in den 60er Jahren erkannt, dass das programmatische Agieren des Computers mit Regelwerken der Satztechnik kurzzuschließen ist. Es hat zudem den Anschein, dass gerade die Szene der Elektronischen Musik einen weitaus größeren Stellenwert innerhalb der E-Musik einnimmt, als die Computerisierung und die Datenkunst innerhalb des Systems der bildenden Kunst. Traditionen der mutualen Arbeit zwischen Ingenieuren und Musikern sowie Institutionalisierungen wie das Media Lab am MIT, wo zwar auch Heinz Mack als bildender Künstler lehrte, oder das legendäre Kölner Studio des WDR und der daraus in über 30 Jahren gewachsenen Szene sucht man allerdings in der bildenden Kunst in dieser konzentrierten Art und Weise vergebens.

Neben jener Szene haben sich verschiedene Impulse seit den 1970er Jahren in einer Art Übersprung zwischen der sogenannten E- und U-Musik ergeben. Am augenscheinlichsten ist dies in der Ambient-Musik vor allem der zweiten Generation nachzuvollziehen. Brian Eno band erstmals konzeptuelle Ansätze der Kunst zurück an die Tonkunst (Music for Airports von 1978 sei hier stellvertretend angeführt). In Form eines Parforceritts ließe sich dies wiederum rückkoppeln an die Minimal-Bewegung (z. B. Steve Reich), welche in der bildenden Kunst ihrerseits in der konkret-konstruktiven Kunst verwurzelt ist. An vielen Enden der durch Gattungsdenken von Kunsthistorikern meist übersehenen Relationen zwischen den vermeintlich getrennten Sphären des Kunstsystems und der elektronischen Musik bilden Ambient, Minimalismus und Konstruktivismus einen Cluster, der später als Impulsgeber auch für Sounddesigner dient. Der zwölfjährige Bela ist ungeduldig. Er wartet auf den Moment, wo der immer wieder kehrende Trailer endlich verschwunden ist und er selbst am Joystick den Kampfflieger in Rebel Assault 3 übernehmen wird, um die Freiheitskämpfer aus George Lucas‘ Krieg der Sterne zu unterstützen. Wieder und immer wieder kehrt dieses eine Motiv. Schwülstig dräuen die postromantischen Orchesterklänge aus den kleinen Schreibtischlautsprechern des PC. In der Repetition verliert sich die Dramatik und verpufft in einer beiläufigen Belanglosigkeit. Das Unheilvolle, mit dem der Spieler konfrontiert wird, lässt sich nicht durch diese Musik in Echtzeit zum Spiel selbst beschreiben bzw. durch sie verstärkt erleben. Ihr Versuch, ein wenig von der Spannung zu transportieren und sie noch zu steigern, ist durch die Endlosschleife zur akustisch schnell erfahrenen Unglaubwürdigkeit verdammt. Bela stört die Musik daher nicht einmal. Er nimmt sie nicht wahr und entwickelt als Spieler kein bewusstes Verhältnis zu ihr.

Der Klangraum, welcher in der aktiven Rezeption auf Beteiligung baut, damit die klangliche Information als solche überhaupt wahrgenommen werden kann, bedarf einer wie auch immer gearteten Disposition in einem speziellen Rezeptionsraum. Das ist in der Regel eine Bühne mit dem Publikumsraum oder daheim vor der Unterhaltungselektronik. In ihrer Negation von Dramatik, in ihrer Nebensächlichkeit und Höhepunktsferne ist die Musik zu Computerspielen eher der Muzak nah. Sie erinnert aber auch an alte Konzepte einer Verräumlichung und Vergegenständlichung, wenn auch der Klang und die Mittel gänzlich andere sind, als beispielsweise Eric Saties Musique d’ameublement. Darüber hinaus öffnen sich Kontexte zu Projekten einer etwas anderen Szene, die ihrerseits direkt mit der Gamerszene verlinkt ist. Das Dortmunder Projekt «Sternschaltung» arbeitet gerade an einem performativen Konzept, um Musique d’ameublement am Laptop in Musik fremden Kontexten zu realisieren. Martin Juhls, Sternschaltung, ist fasziniert von der paradoxen Situation einer aktiven Performance, die am Rande der Wahrnehmung in öffentlichen Räumen bei Veranstaltungen möglich wäre. In einer dezidiert ausgearbeiteten Spannung zwischen An- und Abwesenheit des Klangraums spielt diese Musik mehr die Rolle einer akustischen Figur, welche integrativ wirkt. In diesem Sinn ähnelt dies der fortwährenden Schleife von Klängen oder ätherischen Sounds. In Myst, Riven und Exile wäre diese Art der Raumstimmung im Spiel erlebbar. Diese drei Adventures, die den Spieler in ihre, gemessen an der jeweiligen Erscheinungszeit, hyperrealistischen Landschaften entführen und zum Lösen schwieriger Rätsel motivieren, zeichnen sich durch eine sehr harmonische und durchdachte Kombination aus fantastischer Bild- und «sphärischer» Klangwelt aus.

Ähnlich wie die Sternschaltung eher aus einem U-musikalischen Kontext kommt, bilden die Künstler, die sich im Internet unter der Webadresse www.micromusic.net zu einer Austauschplattform verbunden haben, eine lose Gemeinschaft von Musikern, die sich der Mittel digitaler Medien bedienen. Hier ist es insbesondere das Computerspiel der frühen Zeit, oder es sind die Tracks, die aus Gameboy und anderen Konsolengeräten ertönen. Im Unterschied zu den teils aus Field Recordings entwickelten Tracks der Sternschaltung-Künstler ist der «micromusic»-Fundus das Spiel. Und während hier die Pattern Raum bildend wirken, ist es dort der kontinuierliche Drive über vollständig synthetisches Klangmaterial, das eher flächig in ein Kontinuum aus Klangspitzen zu einer Art Ornamentik verwoben wird. Musiker wie «komathron», «rolemodel» oder «Sbindon» bedienen sich zwar auch ansatzweise der klassischen Songstrukturen. Im Unterschied zu herkömmlicher Popmusik beschneiden sie künstlich das Höhen und Tiefenspektrum zugunsten der Simulation eines Klangumfelds, wie es vor allem in den Konsolenspielen vorherrscht. Die micromusiker bleiben allerdings sezierend beim Gehör als einzig affiziertem Sinn ihrer Musik.

Der spanische Künstler Joan Leandre hingegen, der mit retroyou r/c das PC-Spiel selbst als Steinbruch seiner künstlerischen Arbeit versteht, hat durch Modifikationen der Software ein Raum-Klang-Bild geschaffen. Leandre skelettierte in verschiedenen Gradationen verschiedene Level des Games und gibt sie dem Betrachter in Form von räumlichen Inszenierungen. Neben den Bildeffekten der verfremdeten Game-Engine, also der Kernsoftware eines Spiels, welche niemals gleiche Bilder und Bildfolgen erzeugen, kann auch mit dem Klang über das schlichte Interface des Joysticks durch das Geschick des Nutzers so etwas wie eine temporale, performative Komposition entstehen, welche sich echtzeitlich durch ein Ineins von Klang und Bild auszeichnet. Dass hierbei das Eigentliche des Spiels, nämlich innerhalb eines dreidimensionalen, deterministischen Weltkonstrukts effizient die Aufgaben abzuarbeiten, welche von den Designern ersonnen wurden, ad absurdum geführt und in eine reine Selbstbezweckung von Sound zu Bild in ihrer Steuerung durch den Benutzer überführt wird, machen die Arbeit zu einem Paradigma in der Kunstwelt. Im Grunde ist retroyou so etwas wie die Einlösung des Versprechens von einem Gesamtkunstwerk unter Einbezug des Betrachters als Teilschöpfer des Ereignisses nach einer technischen Partitur, die je nach gestartetem Level andere Sounds und Bilder sowie Reaktionsspannen produziert und ermöglicht. Insofern stellt die Arbeit auch nicht nur die Trennung zwischen Bild- und Tonkunst in Frage. Sie bietet darüber hinaus auch eine gelungene Integration von Publikum an, durchbricht sie doch aufgrund ihrer implizit installativen Möglichkeit auch den Raum des Spielers, der sich in der Regel im Privaten befindet. Zudem darf im Rahmen der Betrachtung nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich hierbei um eine Form der Retrokultur handelt, die auch funktional manifestiert und nicht allein im Zitat erschöpft. Erst hier scheint das vollständige Potenzial der zeitgenössischen Universalmaschine namens PC in ein der Zeit angemessenes Format gebracht.

Lässt man die einzelnen Positionen Revue passieren, erweckt dies den Eindruck, dass sich seit einiger Zeit eine Szene aus Spiel, Klang, Musik und bildender Kunst bildet, die im Abseits gängiger und institutionalisierter Kunstpraktiken eine Schnittstelle zwischen der Gamer-, Demo- und der Kulturszene besetzt und gestaltet. In der synthetisierenden Weise ihrer Grenzüberschreitung, welche mit dem mittlerweile verbrauchten Begriff des Crossovers gar nicht adäquat zu fassen ist, offenbart sich ein spielerisch subversives Potenzial, das neue Definitionen der Verhältnisse zwischen Hoch- und Subkultur geradezu herausfordert.

Dank an Bela, Jens Brand, Allister Brimble, Andreas Broeckman, Martin Juhls (Sternschaltung), Sukandar Kartadinata und Stefan für die zahlreichen Anregungen.

gta-vice city:  http://www.vicecityradio.com

Archive mit Computerspielmusik: http://www.vgmusic.com, http://gamemusic.emugaming.com/, http://www.chudahs-corner.com/, http://www.rpgamers.net/

Beispiel für Game Charts: http://genres.mp3.com/music/electronic/game_soundtracks/

Die Geschichte der Musik in Computerspielen

http://www.gamespot.com/gamespot/features/video/vg_music/index.html

E-Elektronik: http://www.mhs-koeln.de/de/pdf/studio.pdf

Laptop- / Konsolen-Musik: http://www.sternschaltung.de, http://www.micromusic.net

Entgrenzt: http://retroyou.org

Sonst: Wired. May 2002. The Music Issue

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